Freitag, 24. Januar 2014

Der Weg zur "Wende"

Ich habe mich in den letzten Jahren in folgenden Artikeln mit der (Rück-) Wende beschäftigt:
 
Mauerfall - 9. November 1989
"Meine" NVA - 1990

Es stellt sich naheliegend die Frage: "Wie konnte es soweit kommen?"

 
Das die wirtschaftlichen Probleme, nicht zuletzt aufgrund der schlechten Ausgangslage, ursächlich waren, sollte m.E. klar sein. Während die DDR einen nach dem Sieg im 2. Weltkrieg materiell erschöpften Partner an ihrer Seite hatte und fast die gesamte Reparationslast allein tragen mußte, wurde der westdeutsche Separatstaat von den USA mittels Marshallplan aufgepäppelt. Im Folgenden soll es mir jedoch um die politisch-militärischen Rahmenbedingungen gehen.

Ende der 1960er war das Militär-Strategische Gleichgewicht hergestellt und die Sowjetunion hatte die Fähigkeit zum alles vernichtenden Gegenschlag erlangt. Die sowjetischen Interkontinentalraketen "schlugen" die angloamerikanischen Bomberverbände.

Als Folge wurde der Westen "zutraulich" und es wurden Verträge zur Begrenzung der Nuklearwaffen, aber auch der "Moskauer Vertrag" unterzeichnet. Es folgte das Vierseitige Abkommen über Westberlin und "das betreffende Gebiet". Das Problem für die DDR war, daß diese Verträge  unterzeichnet wurden, ohne sie einzubeziehen und die deutsche Frage zu klären, d.h. die Existenz der DDR zu garantieren. Hinzu kam, daß die BRD die Grenzen der Sowjetunion und Polens, trotz eindeutiger Präambel des Grundgesetzes, nicht mehr offen in Frage stellte. Damit verlor die DDR ihre "Pufferfunktion" für diese Staaten.

DDR und BRD schlossen den Grundlagenvertrag (und Transitabkommen), der insoweit pragmatisch den Status Quo festschrieb. In dieser Zeit wurde Walter Ulbricht abgesetzt, es folgte Erich Honeckers Anerkennungspolitik sowie in Europa eine Friede-Freundschaft-Eierkuchen-Epoche (KSZE, Helsinki). Die "Konterrevolution auf Filzlatschen" begann. "SED-Reformer" begannen zu wirken.

Es gab aber keinen Anlaß wirklich Grundlegendes zu ändern.

Diese relativ friedliche Dekade änderte sich schlagartig mit dem NATO-Doppelbeschluß: Das Militär-Strategische Gleichgewicht wurde verletzt, die Vorwarnzeit für eine Nuklearschlag auf Null reduziert. Die Zeit zwischen 1979 und 1983 kristallisiert sich immer mehr als "Schicksalsjahre" heraus:
 
Ich stand kurz vor den Eintritt in die NVA ;-) und sowohl im engsten Verwandten- als auch im weiteren Bekanntenkreis wurde mir "der Vogel" gezeigt: Die deutschen Staaten würden sich annähern und bald könne "jeder" in den Westen zu Besuch reisen, nur ich dann nicht ... dagegen mehrten sich um 1982 Äußerungen, wie "Noch nie war der Frieden seit dem 2. Weltkrieg so bedroht wie gegenwärtig." und ich dachte noch, jetzt sind "die" völlig weggetreten. Dabei hatte "die Partei" natürlich und wie immer Recht ;-)
 
Stichworte:
* Unruhen in Polen 1980 - 1989
   (Gefahr des Abschneidens der GSSD vom Landweg zur Sowjetunion;
   hektischer Ausbau der Fährverbindung Mukran-Klaipėda)
* Operation RYAN 1981 - 1984
* Die Sowjetunion kürzt die Erdöllieferungen in die DDR ab 1981
   (die DDR muß neue Wege zur Devisenbeschaffung und
   Energiesicherung suchen)
* Die US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa stehen ab 1982
 
[Exkurs] Angeblich hatten die Briten 1983 durch eine Quelle im KGB (Oberst Oleg Gordijewski) genaue Kenntnis der Gefährlichkeit der Situation, wollten aber diese Quelle unter keinen Umständen gefährden. Jedenfalls sei "Able Archer" deshalb nicht abgesagt oder wenigstens modifiziert worden. Der gute Oleg Gordijewski war auch ansonsten ein wahrer "Glücksgriff". So hat er nebenbei auch mit der AIDS-Ursprungs-Legende von Jakob Segal aufgeräumt: Alles angeblich KGB-Desinformation ... Es ist m.E. üblich, aus Überläufern - hier nachdem er aus sonst was für Gründen von dem lukrativen London-Posten abgezogen wurde und überlief - im nachhinein Top-Spione zu machen.

Aber auch die Theorie, daß Rainer Rupp (Topas) den Kernwaffenkrieg 1983 verhinderte, krankt am Detail: "Topas" saß in der Politischen Abteilung im NATO - Hauptquartier in Brüssel und die Atomstreitkräfte der USA unterstanden (unterstehen) nun einmal nur den USA. Natürlich kann hilfsweise überlegt werden, ob und inwieweit ein sowjetische Quelle bspw. im Strategischen Kommando der US-Streitkräfte ergänzende Informationen lieferte.

Nach meiner Meinung steckte die Sowjetunion schlicht den "Kopf in den Sand". Die einzige Alternative wäre die Auslösung eines sowjetischen Atomschlags gewesen, um den vermuteten Angriff zuvorzukommen; beachte auch die Erklärung vom 15. Juni 1982.  Heutzutage wird das so formuliert: »So angespannt die Atmosphäre im Jahre 1983 auch immer gewesen sein mag, die Führer in Moskau zeigten nie irgendeine Angst vor einem unmittelbar bevorstehenden Atomschlag gegen die UdSSR«. Schrieb zumindest Mark Kramer, nach Sichtung der Protokolle der Sitzungen des Politbüros der Kommunistischen Partei der Sowjetunion von 1983 und Anfang 1984. [Ende]

Natürlich rührten sich die ersten "Reformer" in Wissenschaft, VEB und SED, denn jetzt "mußte" gehandelt werden.

Zwischen der BRD und der DDR liefen das "Länderspiel" und "Züricher Modell". Basis waren Überlegungen zum gegenseitigen Entgegenkommen.  So waren im "Züricher Modell" Tranchen angedacht: Wie pro eine Milliarde DM Kreditrahmen Senkung des Reisealters für DDR-Bürger um ein Jahr. Kern dieses Modellversuches war sowieso "nur" ein "Kontokorrentkonto" auf einer eigens von beiden Seiten gegründeten Bank ... alles streng geheim natürlich. Inwieweit hier die "SED-Führung" führend war oder "Reformer" handelten, ist nicht ganz klar. Die Aktivitäten wurden zumindest vom MfS "begleitet". Das Projekt "Länderspiel" war noch nicht einmal so konkret.

Die Infos zum Thema  "Länderspiel" und "Züricher Modell" sind extrem spärlich und gehen auf wenige Zeitzeugen zurück. Es gab auch wenig feste Strukturen oder gar Organisation ... da BRD-Persönlichkeiten und -Behörden knietief mit dabei waren, ist nach dem Tod der Zeitzeugen nur noch wenig Neues zu erwarten. "Aufarbeiten" der Geschichte heißt auf BRDisch leider nur immer "Abrechnen" und dafür eignet sich dieses Thema nun einmal nicht. Herr Platzdatsch (Interview mit dem "Zeitzeugen Jürgen Nitz") schreibt: "Das »Züricher Modell« enthielt die Option auf eine deutsche Konföderation. Ja. Und das war beiden Seiten klar und von beiden Seiten gewollt. Im Auftrag von Honecker formulierte damals Herbert Häber, Politbüromitglied, die Idee von der Koalition der Vernunft, die Kohl mit dem Begriff der Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten beantwortete. Mit dieser Konzeption wollte Honecker im Sommer 1984 Moskau für seine Reise nach Bonn gewinnen ... Honecker unternahm noch einen letzten Versuch 1987 während seines Besuches in der Bundesrepublik. In seiner Rede in Neunkirchen, im Saarland, schlug er vor, die deutsche-deutsche Grenze so zu gestalten wie die Oder-Neiße-Grenze. Das war der Kerngedanke des Geheimprojektes »Länderspiel«, zu dem ich in Zürich Vorgespräche mit Thomas Gundelach, Sekretär des damaligen Bundestagspräsidenten Philip Jenninger, sowie mit dem Bankier Holger Bahl, einem Beauftragten des Bundeskanzleramtes, führte."

Bereits 1982/83 war aber mit den sog. Strauß-Krediten die "Luft raus": Wozu Gegenleistungen, wenn man das Geld auch "umsonst" bekommt?! Ja, ich weiß um die zeitliche Parallelität um den Abbau der Mienen an der Staatsgrenze, aber eine finale Verknüpfung wird von HERTLE u.a. verneint. Die Entscheidung soll unabhängig ("Goodwill") gefallen sein.

Honecker entschied nicht mehr "zu handeln" und die Projekte dümpelten nur noch vor sich hin.

So sah nun die Anhängerschaft der "Bürgerbewegten" zum Ende der 1980er aus: 160 verschiedene Gruppen, wie Friedenskreise, Ökologiergruppen, mit einem Teilnehmerkreis von 2.500 Teilnehmern und IM durchsetzt. Davon waren 600 in Führungsgremien tätig, wovon rd. 60 Personen vom MfS  als "harter Kern" betrachtet wurde. Westliche Quellen sprechen immerhin schon von 325 Gruppen mit einer Massenbasis von bis max. 15.000 Menschen. Damit kann kein Umsturz gemacht werden, gleichwohl dieser initiiert:
http://ddr-luftwaffe.blogspot.de/2012/06/massen-mobilisieren.html

Die offensichtliche Handlungsunwilligkeit / -unfähigkeit der Gruppe um Erich Honecker wurde dann am 17. Oktober 1989 von Egon Krenz sowie den "SED-Reformern" für sich genutzt. Für diese war die Losung "Keine Gewalt" existenziell: Jede gewaltsame Niederschlagung - dazu hätten ggf. ein energisches Durchgreifen der Polizei in Leipzig genügt - hätte die "1. Reihe" gestärkt, wie weiland um den 17. Juni 1953. »Falls Sie einmal in die Verlegenheit kommen sollten, eine Verschwörung gegen einen Apparat einzuleiten, erkundigen Sie sich bitte bei mir, dann erzähle ich Ihnen, wie das gemacht wird« meinte dazu Schabowski.  Vorsorglich: Schabowski war alles andere, aber kein "Reformer".

In der ersten Februar-Woche des Jahres 1990 war ich auf einer Veranstaltung der PDS auf Kreisebene. Teilnehmer war u.a. einer von der "Zentrale" aus Berlin, Mitte 30, und in dessen Schlepptau war eine junge Frau. Beide waren "SED-Reformer", auch wenn sie sich nicht so vorgestellt haben. Die Frau "outete" sich in ihrem Beitrag als "Oppositionelle", die aktiv Demonstrationen organisiert und an diesem teilgenommen habe. Aufgrund der harschen Reaktionen, brach sie in Tränen aus und entschuldigte sich schluchzend: »"Das" haben "wir" nicht gewollt.«. Fazit: Ich war im Konkreten auch nur "Wasserträger" fremder Interessen.

Und nicht vergessen: »Wir haben damals [bereits ca. 1981 / 1982; Veith] der sowjetischen Führung mitgeteilt, wir könnten die DDR innerhalb von zwei Wochen destabilisieren. Es wäre Abenteurertum gewesen. Früher sollte die DDR-Führung sich sicher fühlen können, sonst hätte die Kirche nicht das Dach bilden können, unter dem die Dissidenten sich formieren konnten«, aus: Egon Bahr, "Die Deutschlandpolitik der SPD nach dem Kriege", 1993.

Was war nun mit der Sowjetunion?

Egon Krenz in seiner Rede auf dem Symposium "Die Zerstörung der Sowjetunion und ihre Folgen" 23./24.04.2011) in Peking: »Am 21. Oktober 1981 hatte KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew einen persönlichen Beauftragten zu Erich Honecker geschickt. Die Botschaft war: Die Sowjetunion sei nicht mehr in der Lage, den Rohstoffbedarf der DDR, besonders bei Erdöl, zu decken. Diese Tatsache ging an den Lebensnerv der DDR. Begründet wurde sie damit, daß sich die Sowjetunion in einer ähnlichen Situation befinde wie Sowjetrußland 1918 beim Abschluß des Friedensvertrages von Brest-Litowsk. Das hat uns in der SED-Führung irritiert. Ging es doch 1918 um Sein oder Nichtsein von Sowjetrußland. (…) Wir erfuhren: Die Analyse der sowjetischen Führung hatte ergeben, daß sich die UdSSR in einer existentiellen Krise befand.«

Egon Krenz in dem Artikel: "1949 und 1989 - Wendepunkte europäischer Geschichte" (14. Oktober 2014) mit einem quellenoffenen Zitat: "Ich bin ein leidenschaftlicher Gegner von Geschichtsklitterungen ... Geschichte muß sich gegen jede Einseitigkeit wenden, die in aller Regel nur dazu gedacht ist, als Waffe im politischen Kampf der Gegenwart eingesetzt zu werden. Geschichtsbetrachtung darf nicht zurechtgebogene Einseitigkeiten schaffen und zu Knüppeln politischer Propaganda degradieren." Franz Josef Strauß "Erinnerungen", Siedler-Verlag, Berlin 1989, Seite 388.

Schön auch die Bestätigung[*]: »Am frühen Morgen des 10. November machte uns die sowjetische Seite den Vorwurf, die DDR sei wegen des Vier-Mächte-Status von Berlin nicht berechtigt gewesen, die Grenze zu Westberlin zu öffnen.34 Auch die Militärverbindungsmissionen der drei Westmächte in Potsdam waren irritiert.35 Wie sehr zu diesem Zeitpunkt noch militärische Aspekte eine Rolle spielten, geht auch daraus hervor, daß der Chef der US-amerikanischen Mission erklärte, "das USA-Oberkommando würde Einwände erheben, falls Armeeangehörige der DDR Berlin (West) besuchen sollten"36.«

[*] siehe Projekt "Loch-in-der-Grenze"
34 Telefongespräch zwischen Egon Krenz und UdSSR-Botschafter Kotschemassow am 10. November 1989
35 Siehe Fernschreiben des Chefs des Stabes der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR vom 12. November 1989 an Generaloberst Fritz Streletz
36 Ebenda


Tja, scheint doch etwas mehr daran zu sein, als ich erst dachte: Vor dem Mauerfall - Wie der Kreml die DDR aufgab. Siehe vergleichend, bereits für das Jahr 1956, den Artikel "Geheimmission des BRD-Vizekanzlers beim DDR-Vize-Verteidigungsminister 1955 und 1956" Was wollte der Vizekanzler Schäffer beim Chef des Hauptstabes der NVA und stellvertretenden Minister für Nationale Verteidigung,  Vincenz Müller?
 

1 Kommentar:

  1. Wenn Schabowski die Lehren von Marx und Engels in einem Interview mit dem Begriff "Verstaatlichung" identifiziert, so beweist dies nicht nur seinen ausgesprochenen Mangel an politisch-ökonomischer Bildung, sowie einen ebensolchen Mangel an Charakter, welcher das neue Dogma mit dem Sturz des alten Dogmas zu legitimieren versucht - wie die neoliberale Schule alle Niederträchtigkeiten von heute mit den Niederträchtigkeiten von gestern legitimiert und jeden Schrei des Sklaven gegen die Knute für einen Frevel an der Knute erklärt, sobald die Knute eine angestammte, eine bejahrte, eine durch die gesellschaftliche Gewohnheit geheiligte Knute geworden ist - , es beweist vorallem, dass er als Führungsperson in den Organen der DDR ungeeignet war. Und das Schlimmste daran ist, dass er sich mit dieser Eigenschaft nahtlos einreiht in ausnahmslos alle Ostdeutschen, die in der DDR die Parteischule absolvierten und deren Bekanntschaft ich nach der Wende machen durfte. (Ich war zur Wendezeit gerade 12 Jahre alt!) Vielleicht sollten wir langsam mal anfangen Marx und Engels erneut zu studieren, aber diesmal ohne einen anderen Lehrer, als die Autoren selbst! Dann hören auch endlich die jämmerlichen Spekulationen über die vermeintlichen Ursachen des vermeintlichen Versagens des sozialistischen "Experiments" auf und an ihre Stelle treten echtes Wissen und wirkliches Verständnis über die tieferliegenden ökonomischen Zusammenhänge der Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts.

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