Donnerstag, 10. Dezember 2009

Aus der Geschichte der 43. FRBr ( Folge 4 )


Vorbemerkung :
Die Rückholung der Erich Weinert - Büste aus dem Kunstpark in Emlichheim an der holländischen Grenze nach Sanitz hat uns viel Lob und Freude eingebracht. Dafür möchten wir uns bedanken und gleichzeitig Euch bitten, dass Projekt Ausstellung " 50 Jahre Garnisonsort Sanitz " mit Fotos, Chroniken, Modellen usw., vorallem aber auch mit Erinnerungs - und Erlebnisberichten weiterhin zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ein Hinweis zu einer Broschüre von Lothar Herrmann " Zur Geschichte der 43. FRBr ", Schwerpunkte Entwicklung Technik und Sicherstellung, 59 Seiten, bestellbar unter : 05141 - 485161.

In der ungefähren chronologischen Reihenfolge unserer Beiträge sind wir Ende 1961 / Anfang 1962. Diesmal eine Folge aus der Geschichte der FRA 4324 in Retschow bei Bad Doberan.
Quellennachweis :
Erlebnisberichte Ehemaliger ( L. Hümer )


Nach Retschow ...

Die verspätete Verlegung der FRA 4324 an ihren Standort Retschow verdeutlicht die damalige angestrengte Situation und den enormen Zeitdruck, unter der die Formierung und Stationierung der neugeschaffenen Fla - Raketenregimenter steht. So kann u.a. der entsprechende Befehl zur Verlegung der Einheiten des FRR - 18 erst im August 1962 erfüllt werden, da in Retschow die Stellung noch nicht aufnahmebereit ist. Während z.B. Stab, Na - Zug, Flak - Battr., die RD bereits Ende Dezember 1961 bzw. im Januar 1962 am neuen Standort eintreffen, müssen FuTK und Feuerbatterie nach Übernahme der Technik in die FRA 4322 nach Barth ausweichen. Angehörige der FRA sind aber auch in Hinrichshagen und Abtshagen anzutreffen, der Finanzer mit der Kasse und dem damals noch bar auszuzahlenden Wehrsold reist quer durch das Regiment ..... Zum " Tag der Nationalen Volksarmmee " am 01.03.1962 trifft sich jedoch alles in RETSCHOW !

Am 23.05.1962 wird bereits das FRR - 18 in denBestand der neugebildeten 3. Luftverteidigungsdivision ( 3. LVD ) übernommen und die FRA 4324 erhält die Aufgabe, im Verteidigungsfall in der 1. Staffel in der Luftoperationsrichtung WEST bzw. NORD - WEST und NORD zu handeln. Per 15.09.1962 dann die Einbeziehung in das Diensthabende System ( DHS ) der LV der DDR. Vom 09. - 13.07.1963 eine Inspektion durch das Vereinte Oberkommando, die FRA erfüllt das Prüfungsschießen mit 80 %, beim ersten realen Schießen mit Fla - Raketen auf dem Polygon in Ashuluk im Juli 1963 gibt es die Note " Gut ".

Einer, der bereits als Kanonier nach Retschow kam, war Ludwig Hümer. In verschiedenen Dienststellungen eingesetzt, zuletzt Ltr. Med.Punkt und Stabsfähnrich, berichtet er wie folgt :

" ....Die ersten Jahre in Retschow : am 29.12.1961 kommen wir, der überwiegende Teil der Soldaten für die Funktechnische Kompanie ( FuTK ) und für die Feuerbatterie, aus Oranienburg in der damaligen 4. Feuerabteilung ( FA ) Retschow an. Die Mehrheit der Offz. / Uffz. war schon vorher von Pinnow hierher verlegt worden und befindet sich im Festagsurlaub. Die Freude über die Bedingungen am neuen Standort ist ersteinmal groß : ein nagelneues Objekt, erstmalig seit unserer Einberufung haben wir helle, freundliche und vorallem zentral beheizte Unterkünfte, warmes Wasser in den Waschräumen !
Dass wir erst alles reinigen und auch einräumen müssen, stört uns wenig. Da die Klubbaracke noch nicht fertig ist, feiern wir Silvester eben in der Unterkunftsbaracke der Bauarbeiter außerhalb der Kaserne, mit dem berühmt - berüchtigten Rotwein der Sorte " Gamza ". In dieser Baracke wohnen auch bereits der Kommandeur, Maj. Pohl, und der Stabschef, Hptm. Herzog, mit ihren Familien. Nachdem die Festtagsurlauber zurückgekehrt waren, geht es am 04.01.1962 im Kfz. - Marsch nach Stallberg zur Übernahme unserer Technik. Was uns im Einzelnen an Technik dort erwartet, wissen wir noch nicht ... Geheimhaltung ist alles ! So ist die Diensstelle im Retschower Wald eine " Schokoladenfabrik ", es geht um " Produkte " und " PU " anstelle von Raketen und Startrampen. An der Uniform ist noch die rote Waffenfarbe der Flak - Artillerie und wir sind Kanoniere. Nach ca. 2 Tagen verlegen wieder zurück, aber nicht nach Retschow, sondern nach Barth ...In Retschow sind die Bau - Pioniere noch mit der Fertigstellung der Feuerstellung zugange. Aus den angesagten 3 Wochen " Untermieter " in der damaligen 2. Feuerabteilung Barth werden dann zum Schluß 9 Monate, unter recht primitiven Bedingungen in einer Baracke im B - Objekt, ca. 1,5 km von der Kaserne entfernt ....
Wieder Ofenheizung und beschränkte Waschmöglichkeiten, die Einrichtung einer Unterkunft besteht aus 10 schmalen Betten a 75 cm Breite, 1 Tisch und je einem kleinen Nachtschrank und Hocker pro Nase. Spinde passen nicht mehr rein ins Zimmer, die Uniformen hängen an der Wand, die übrigen Dinge werden in einem Seesack unter dem Bett verstaut, Verpflegung wird in Thermosphoren angeliefert. Wenn der Einsatz - LKW aber mal nicht zur Verfügung steht, werden die Essenbehälter im Fußmarsch abgeholt. Der Soldatenalltag besteht zu dieser Zeit im Kennenlernen der neuen Technik, d.h. in der Ausbildung an der Technik, in der theoretischen Aus - und Weiterbildung sowie im Wachestehen. Mit Beginn der Sommermonate werden dann die Lebensbedingungen etwas angenehmer - beim " Frühsport " werden z.B. die reichlich vorhandenen Blaubeeren gesammelt, auch Ausgang gibt es jetzt häufig, dann geht es meist zu " Alwin Krull " nach Fuhlendorf, durch den Walde sind es ca. 30 min. Ich lerne ein Mädchen kennen und mein Zugführer, Ultn. Kocher, seine spätere Ehefrau. Wie der Zufall so spielt, beide Mädels sind Freundinnen - so ergibt es sich, dass ich diesem Umstand geschuldet durch den Einfluß meines Vorgesetzten meist Ausgang ohne Einschränkung erhalte. Das ist auch deshalb problemlos, da wir nie eine Wache passieren müssen ....

An den Wochenenden geht es oft nach Retschow, um bei der Fertigstellung der Stellungen zu helfen, Gräben zu schaufeln usw. Ende August / Anfang September 1962 ist es dann soweit : per Eisenbahntransport und unter strengster Geheimhaltung verlegen wir in unseren eigentlichen Standort in der Nähe von Bad Doberan. Hier weht nun jetzt ein anderer Wind für uns, Gefechtsausbildung und Gefechtsdienst stehen jetzt an erster Stelle und wechseln sich ständig ab. Die Kuba - Krise und die Auswirkungen im Herbst 1962 bedeuten für uns fast 5 Wochen erhöhte Gefechtsbereitschaft bei Barackenleben in der Feuerstellung, für die zur Entlassung Stehenden sogar das Weiterdienen und eine 4 - wöchige verspätete Rückkehr in das zivile Leben ....

Das Jahr 1963 ist dann im wesentlichen geprägt von der Vorbereitung und Durchführung des 1. Gefechtsschiessens unserer Abteilung. Eine harte Ausbildung mit ständiger Wiederholung aller Abläufe, das Beherrschen aller Handlungen von der Vorbereitung bis zum Start der Rakete, die taktisch - technischen Daten usw. - alles Wissen und Können muß ständig parat und abrufbar sein, es muß also bei jedem von uns " automatisch " ablaufen. Um den Lernprozeß zu erleichtern, wird in eigener Regie zusätzliches Anschauungsmaterial angefertigt. Da ich einigermaßen Normschrift schreiben kann, werde ich dazu " verdonnert ", d.h. Übertragen und Vergrößern der Schaltbilder aus den sowjetischen Originaldokumenten auf Transparentpapier bzw. Zeichenkarton, mit Feder und Tusche.

An einen Vorfall aus dieser Zeit kann ich mich besonders erinnern : auf dem Dienstplan steht " Tank - Training ", d.h. scharfes Betanken einer Lehrrakete mit der Treibstoff - Komponente " Oxydator " - einen Vorgang, den wir bis dahin noch nicht allzu oft geübt hatten. So kommt es, dass ich als damaliger K 2 die noch unter Druck stehende Tankpistole zu zeitig löse - ich kann sie dann nicht mehr festhalten, sie stellt sich kerzengerade auf und besprüht uns jetzt von oben herab wie eine Dusche den K 1 , Uffz. Maynicke, und mich mit dem noch im Schlauch befindlichen " O " !
Wir springen sofort vom TLF herunter und werden von allen Seiten mit Wasser zugeschüttet , unser BC Ltn. Birkholz taucht uns immer wieder und wieder mit dem Kopf in ein Wasserfaß, fast sind wir dabei, zu ertrinken .... An den Stellen, die nicht von der Schutzbekleidung bedeckt sind, zeigen sich bei mir schmerzhafte Verbrennungen. Mit dem Sankra werden wir dann sofort nach Sanitz gebracht, der Reg. - Arzt behandelt uns mit einer weißen Salbe - bis auf eine kleine Narbe erinnert nichts mehr an diese noch relativ glimpflich verlaufene Angelegenheit.

Dann naht das Datum der Abfahrt ins " große " Land : kurz vorher gibt es noch neue Uniformen, jetzt die hellgraue Waffenfarbe der Luftverteidigung der NVA. Die Fahrt an sich ist schon ein Erlebnis für sich, an einem normalen Reisezug Berlin - Warschau - Brest - Moskau sind unsere Liegewagen angehängt, wir steigen in Frankfurt / Oder zu. Während der Reise verpflegen wir uns selber, im Waggon gibt es gegen Bezahlung wunderbaren Tee, also " Tschai ", aber auch den Speisewagen können wir nach Abmeldung aufsuchen. Und dann diese Entfernungen und Weiten des Landes, ein paar hundert km sind überhaupt nichts ....In Brest haben wir ca. 2 h Aufenhalt, Umspuren der Waggons. In Moskau gibt es ein vorbereitetes Programm, dafür steht sowohl für die Hin - als auch für die Rückfahrt je 1 Tag zur Verfügung : Roter Platz mit Besuch im Kaufhaus "GUM", die Lomonossow - Universität mit Ausblick auf die MOSKWA, die hier in einem großen Bogen ruhig dahinfließt, die Allunions - Ausstellung. ...
Über Wolgograd geht es südwärts Richtung Charabali, dann der Bahnhof Ashuluk. Von dort bis bis zur Kaserne des Staats - Polygons ( Schießplatz ) fahren wir mit LKW's, durch die Steppe - eine feste Straße gibt es noch nicht. Die Unterbringung ist spartanisch, in Baracken. Die Verpflegungsversorgung erfolgt durch die dortige Mannschaftsküche, d.h. Soldatenkost a la Kascha dick, Kascha dünn ... also nicht unbedingt, was uns sonderlich begeistern könnte.

Der Tagesablauf ähnelt dem zu Hause : Überprüfungen, Abnahmen, Zulassungen, Benotungen - wir hatten uns gut vorbereitet und bestehen alle Prüfungen. Am 08.07.1963 werde ich 20 Jahre alt, beim Morgenappell bekomme ich vor versammelter Truppe vom Regimentskommandeur, Maj. Hering, ein Buch mit Widmung anläßlich meines Geburtstages überreicht. Daran erinnere ich mich noch heute sehr gerne ...
Das Gefechtsschiessen wird durch unsere Abteilung erfolgreich absolviert, auch wenn es mit einem Schreck beginnt - durch irgendeinen Defekt bricht die 1. Rakete aus dem Leitstrahl aus und geht dann in der Wüste nieder, die uns noch zur Verfügung stehende 2. Rakete wird daraufhin sofort gestartet und trifft das Ziel. Beides können wir mit bloßen Augen verfolgen, auch die dann in Richtung zu unserer Feuerstellung brennend abstürzende LA - 17, dem Zieldarstellungsmittel. Uns wird mulmig, da sie immmer näher und näher kommt und suchen schleunigst Deckung hinter den Protzenrädern - wir sind auch nur etwas erleichtert, als das Wrack dann doch vor dem Zaun unserer Stellung niedergeht. Das Erlebnis der Raketenstarts wirkt bei uns allen nach, zum ersten Mal real und hautnah, es ist sehr beeindruckend ....

Kontakte zu den stationierten Sowjetsoldaten gibt es häufig, wir möchten aber nicht tauschen, sie leben unter sehr schwierigen Bedingungen und freuen sich über vieles, was uns selbstverständlich ist und auch über einige Sachen, die wir loswerden wollen. So wechselt auch mein Trainingsanzug und die Schutzbrille gegen in paar Rubel den Besitzer. Für den Erlös kaufe ich mir dann bei der Rückreise im GUM in Moskau eine Armbanduhr, die ich bis heute noch habe und auch noch funktioniert. Nach 3 erlebnisreichen Wochen sind wir dann endlich wieder zu Hause, zurück in Retschow ...." Fortsetzung folgt.

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