Donnerstag, 16. Dezember 2010

Anteilscheine am Volksvermögen

"Volkseigentum in Volkes Hand"
Ja, es gab die Idee, das Volkseigentum der DDR durch Anteilscheine auf jeden Bürger (Mann, Frau, Kind und Greis) zu einem Stichtag zu verteilen. Das wurde beispielsweise in Russland so praktiziert, woraus eine neue Schicht des nationalen Bürgertums (Oligarchien) entstand, von Leuten, die wussten, welche Anteilscheine was bringen und diese billig von der Bevölkerung aufkauften. Zeitweise wurde dies in der Tschechoslowakei ebenfalls praktiziert.

Nach verschiedenen Schätzungen betrug das DDR-Substanzeigentum, d.h. alles Eigentum außer privatem (einschließlich kirchlichen) und genossenschaftlichem, 1989 / 1990 zwischen 900 Mrd. und 1,7 Billionen DM. Das waren etwa zwischen 50.000 und 100.000 DM je Einwohner. Dieser Betrag in Anteilsscheinen hätte den DDR - Bürgern einen guten, auf jeden Fall deutlich besseren Start in der BRD-Wirklichkeit ermöglicht.

Im Einzelnen wurden der Wert von Grund- und Boden und die darauf befindlichen Einrichtungen wie folgt geschätzt:

- staatlichen Industriebetriebe mit ca. 600 bzw. 625 Mrd. DM,
- Verkehrs-, Post- und Fernmeldewesens ca. 192 Mrd. DM,
- die 3,3 Millionen volkseigene Wohnungen mit insg. 150 Mrd. DM,
- Gesundheits-, Sozial- & Bildungswesen, Kultur & Sport mit 120 Mrd. DM,
- NVA und Grenztruppen zwischen 98 und 200 Mrd. DM,
- Volkseigene Güter und Betriebe der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft mit 74 Mrd. DM,
- Handel, Gastronomie und Tourismus 64 Mrd. DM,
- Diplomatischer Dienst sowie Ämter und Behörden 42 Mrd. DM.

In dieser Schätzung war das Vermögen der Staatsbank und vermutlich die Schalk-Milliarden nicht enthalten. Manfred Behrend weiter dazu: »In der Land- und Forstwirtschaft waren und sind zu Privatisierungszwecken jene 40 Prozent der Ackerfläche und die Wälder interessant, die dem Staat gehörten. Das Vermögen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ging im Umwandlungsprozeß zu zwei Dritteln verloren.

Die Zusammenstellung ist lückenhaft. Sie macht gleichwohl hinreichend deutlich, daß den neuen „Siegern der Geschichte“ mit der DDR der größte Wertzuwachs nach dem zweiten Weltkrieg zuteil wurde. Wenn ein beträchtlicher Teil des neu angefallenen Reichtums verludert worden oder sonstwie verloren gegangen ist, muß das den Verursachern angekreidet werden, nicht dem verflossenen SED-Regime«

»Am 12. Februar 1990 befasste sich der Runde Tisch mit der Vorlage Nr. 12/29, die den Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums" zur "umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft (Holding)" enthielt … "Als erste Handlung", hieß es in der Vorlage, "müsste diese Holding-Gesellschaft gleichwertige Anteilsscheine im Sinne von Kapitalteilhaber-Urkunden an alle DDR-Bürger emittieren. (...) Das heißt, das die Kompetenzen und Aufgaben definierende Statut dieser Treuhandgesellschaft müsste durch die neu gewählte Volkskammer (solange es diese gibt) oder später durch Volksentscheide der Bürger in den Ländern der ehemaligen DDR definiert werden"« (Das Parlament; s.a.: Text der Vorlage).

»Die Vorlage wurde an die "Arbeitsgruppe Wirtschaft" des Runden Tisches sowie an die Arbeitsgruppen "Recht" und "Verfassung" überwiesen … und auch an Modrow geleitet. Der Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums", vorgelegt von Gerd Gebhardt, in der Öffentlichkeit aber vor allem mit dem Mitglied des Forschungskollegiums und Minister ohne Geschäftsbereich Wolfgang Ullmann in Verbindung gebracht - fand ein breites Medienecho, … das sich vor allem auf die Ausgabe verbriefter Anteile am "Volkseigenen Vermögen" an alle DDR-Bürger bezog … Die Vorschläge Krauses [des vormaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Wolfram Krause; Veith] und der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" nahmen die Idee einer "Treuhandstelle" aus dem Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums" bzw. des "Schatzamtes" aus den internen Überlegungen auf, nicht aber den Vorschlag für eine Anteilsscheinregelung zugunsten der DDR-Bürger.«

Fn. 28 »Dass die Anteilsscheinregelung aus dem Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums" vom Ministerrat nicht übernommen wurde, führte Krause später auf die erheblichen organisatorischen Probleme zurück, welche die Umsetzung dieses Vorschlags mit sich gebracht hätte (im Interview des Verf. vom 24.2. 1993)« (Das Parlament).

Die Idee der Anteilscheine war damals populär, wie auch folgende Äußerung ahnen lässt. Prof. Dr. Jörg Roesler meinte im Jahr 2001 dazu im Rahmen des Themas: „Eigentumsvorstellungen und –politiken der Belegschaftsvertreter und des Leitungspersonals der volkseigenen Industrie in der Wende“ u.a.: »Während eine wachsende zahl von Belegschaftsvertretungen Mitarbeitereigentum in Form von Anteilscheinen am Betrieb forderten, favorisierte die innerhalb des Leitungspersonals dominierende Gruppe der Kombinatsmanager unveräußerliches Konzerneigentum, das mehrere Betriebe oder sogar Wirtschaftszweige umfasste. Wieweit diese Anteilscheine privates oder genossenschaftliches Eigentum darstellen sollten war unbestimmt.«

Lt. dem Spiegel wurde damals durch das o.g. „Freie Forschungskollegium“ sogar ein Anteilschein mit folgendem Inhalt entworfen:

»* Vermögens-Anteil-Urkunde an einem 16millionstel Anteil am Volkseigentum der DDR zugunsten, Name, Vorname, geboren am ... ausgegeben am ...

Und darunter der sachdienliche Hinweis:
* Diese Urkunde (und nicht Ihre Ersparnisse) geben Sie in Zahlung, wenn Sie Ihre volkseigene Wohnung als Eigentumswohnung erwerben wollen. Mietwucher wäre dann kein Thema mehr für Sie. Wenn Sie ein Gewerbe eröffnen wollen, brauchen Sie Geschäfts- oder Betriebsräume. In einem der vielen unrentablen VEBs werden Sie Ihren Raum finden. Sie erwerben ihn mit Ihrer Vermögensurkunde.«

Trotz der „organisatorischen Bedenken“ des Herrn Kraus lebte der Gedanke an (abgespeckte) Anteilsscheine in „Höchsten Kreisen“ fort, vgl. folgendes Zitat:

Helmut Kohl: »“Ja, wir glaubten sogar, daß wir, nachdem wir einen abschließenden Überblick über das DDR-eigene Vermögen haben würden, an die Bevölkerung Anteilscheine ausgeben könnten.“
Der Kanzler spricht damit Kapitel II, Artikel 10 des Vertragswerkes zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion an. Es heißt dort: „Nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens und seiner Ertragsfähigkeit sowie nach seiner vorrangigen Nutzung für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushaltes wird die Deutsche Demokratische Republik nach Möglichkeit vorsehen, daß den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2 zu 1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann.“

„Auch der erste, Später ermordete Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Carsten Rohwedder“ - so Kohl weiter -, „ging zu Beginn seiner Amtszeit 1990 noch von einem Netto - Industrievermögen der DDR in Höhe von 600 Milliarden D-Mark aus“ (Rechtschreibfehler im Original; Veith).

Es ist zu beachten, dass diese Schätzung „Netto - Industrievermögen der DDR in Höhe von 600 Milliarden D-Mark“ der Eingangs genannten Wert der „staatlichen Industriebetriebe“ entspricht und in der Summe eben 1,7 Billionen DM herausgekommen wären.

Wie schrieb ein Torsten Hampel in den „Potsdamer Neusten Nachrichten“ zwanzig Jahre später so schön, wenn auch etwas ungenau: »Das stärkere System hatte sich durchgesetzt. Es hatte sich durchgesetzt um den Preis, dass die DDR-Wirtschaft vom Tag dieser Währungsunion an wertlos sein würde … Die volkseigenen Grundstücke würden zwar immer noch einen Wert haben, aber die volkseigene Industrie eben nicht mehr. Das DDR-Vermögen würde halbiert, und die Anteilsscheinidee damit auch. Endgültig begraben wurde sie dann am 17. Juni von der Volkskammer. Die Schaffung von ostdeutschem Privateigentum sah das Gesetz nicht mehr vor.«

Damit wird der Auftrag der sog. „Treuhandanstalt“ spätestens nach der ominösen Ermordung ihres Präsidenten, Herrn Rohwedder, überdeutlich: Verhinderung der Schaffung neuer „nationaler“ Strukturen mit DDR-Vermögen und Umverteilung des DDR - Vermögens von Ost nach West.

Die notwendige Begleit – Propaganda besorg(t)en die Westpolitiker, ihre Medien und jede Menge willige Helfer.


Verwendete Links:http://www.glasnost.de/autoren/behrend/mabehr.html
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/11/Beilage/006.html
http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/roesler.pdf
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8654148.html
http://www.2plus4.de/chronik.php3?date_value=18.05.90&sort=001-001
http://www.pnn.de/dritte-seite/301676/

Hinweis:
Hervorhebungen und Verlinkungen sind stets von mir. Die Message / Aussage der Publikationen aus denen ich zitiere, mache ich mir regelmäßig nicht zu eigen.

Interne Links:http://ddr-luftwaffe.blogspot.com/2008/06/reperation-deutschlands-nach-dem-2.html
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com/2009/05/mauerfall-9-november-1989.html
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com/2009/12/staatsverschuldung-ddr.html
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com/2010/10/putsch-gegen-die-deutsche-einheit-ii.html
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com/2010/05/wohnungs-marktregulierung.html

1 Kommentar:

  1. »Am 30. Januar 1990 sagt Michail Gorbatschow ...: „Niemand stellt die deutsche Einheit prinzipiell in Frage.“ Der Satz geht durch die Medien. Was niemand weiß: Bundesfinanzminister Waigel hatte schon drei Wochen zuvor seinen Staatssekretär Horst Köhler damit beauftragt, mit den Planungen einer Währungsunion zu beginnen ... Thilo Sarrazin ... : „Die D-Mark kann nur im Austausch gegen einen vollständigen Systemtransfer hingegeben werden.“
    http://blogs.faz.net/wost/2014/04/13/thilo-sarrazin-und-die-oekonomische-annexion-der-ddr-966/

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